mord detlev rohwedder

Eine vierteilige Dokureihe, die derzeit auf Netflix zu sehen ist, behandelt den Mord an dem Treuhandcheft Detlev Karsten Rohwedder. Ihr Titel „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“.

1991 wurde der Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder in seinem Haus erschossen. Seine Frau Hergard Rohwedder kam mit Schussverletzungen ins Krankenhaus und überlebte das Attentat. Es werden drei Szenarien gezeigt, die darauf anspielen, wer für den Mord verantwortlich sein könnte. So geraten die RAF, ein ehemaliger Schütze der Stasi sowie der Geheimdienst der Bundesrepublik in den Fokus. Wer Rohwedder tatsächlich erschoss, konnte bis heute nicht geklärt werden.

Wer war Detlev Karsten Rohwedder?

Theo Waigel, der von 1989 bis 1998 Finanzminister war, bezeichnet Rohwedder in einem Interview als „Märtyrer der deutschen Einheit“ (1;2). 1932 kam der Treuhandchef als Sohn eines Buchhändlers in Gotha (Thüringen) zur Welt. Dies sei laut ihm auch der Grund gewesen, weshalb er sich für die neuen Bundesländer interessiere und auch in seiner Bonner Zeit des Öfteren in der DDR gewesen sei. Außerdem habe ihm die Wiedervereinigung immer am Herzen gelegen, weshalb er sich dazu entschied, diese Arbeit aufzunehmen (1). Nach seinem Abitur 1953 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in Hamburg und Mainz. Am 3. Juli 1990 wurde er schließlich vom Ministerrat der DDR zum Vorsitzenden der Treuhandanstalt bestimmt und übernahm am 1. Januar 1991 das Amt des Präsidenten. Seine Aufgabe bestand in der Sicherung, Neuordnung und Privatisierung des Vermögens der volkseigenen Betriebe der DDR. Am 1. April 1991 wurde Rohwedder durchs Fenster seines Hauses in Düsseldorf erschossen.

Der Mord an Detlev Karsten Rohwedder: Ein bis heute ungeklärter Fall?

Bis heute konnte der Mord nicht aufgeklärt werden – oder sollte niemand erfahren, wer hinter der Tat steckt? Diese Frage stellt sich zumindest, wenn man die neue Dokureihe „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ auf Netflix sieht.

Die RAF (Die Rote Armee Fraktion)

Das erste Szenario, das in der Doku vorgestellt wird, entwirft ein Bild, das den Verdacht nahelegt, dass die RAF hinter dem Mord steckt (2).

Zu Beginn: Zwei Motorräder fahren eine Straße entlang. Kurz darauf ertönt eine weibliche Stimme, die die Passagen eines Bekennerschreibens vorliest, das am Tatort gefunden wurde. Hier heißt es unter anderem:

Wir haben am 1. April 1991 mit dem Kommando „Ulrich Wessel“ den Chef der Berliner Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder erschossen. […] Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine Funktion als Bonner Statthalter in Ostberlin sein. Seit ihrer Annexion ist die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundesrepublik. Die Wirtschaft soll systematisch kaputtgemacht werden, damit das Kapital danach auf freiem Feld und mit entwurzelten Menschen den Neuaufbau nach seinen Maßstäben organisieren kann. Für die Durchsetzung dieses Plans hat die Bundesregierung Rohwedder ausgesucht und er war dafür mit seiner Brutalität und Arroganz auch der Richtige. „Vierzig Jahre Sozialismus auf dem Gebiet der Ex-DDR haben mehr Schaden angerichtet als der Zweite Weltkrieg“, sagte er. So redet nur einer, der die Welt in Produktivitätssteigerung und Profitraten sieht und für den Menschenleben nichts zählen.

(2)

Auf das Vorgespielte reagiert ein ehemaliges RAF-Mitglied und äußert, dass diese Erklärung wohl das Beste sei, die die Rote Armee Fraktion jemals geschrieben habe. Auch Rainer Hofmeyer (Bundeskriminalamt) habe nie Zweifel gehabt, dass die RAF hinter der Tat stecke (2). Auch wenn ich seine Worte nicht anzweifeln möchte, irritiert mich eine von ihm zuvor getroffene Aussage:

Ja, da hat man Wut und Mitleid. […] Wut dahingehend, dass das, was man hat schützen wollen, nicht geschützt worden ist, und Mitleid mit denjenigen, die sich dem Staat anvertraut haben und die der Staat hat nicht schützen können oder nicht schützen wollen.

Rainer Hofmeyer (1)

Hier stellt sich mir die Frage, warum der Staat Rohwedder eventuell nicht schützen wollte. Fakt ist, dass die obere Etage des Hauses nicht mit Panzerglas ausgestattet wurde, obwohl die Ehefrau eigenen Angaben zufolge darum gebeten hatte und was dem Ehepaar schließlich auch zum Verhängnis werden sollte. Auch die vier Überwachungskameras waren am Tattag nicht eingeschaltet.

Winfried Ridder (Verfassungsschutz) äußerte darüber hinaus:

Wir haben gewarnt, wir haben gesagt, wer das nächste Opfer sein wird. Gleichzeitig musste ich aber sehen, dass die operativen Kräfte bei den Sicherheitsbehörden nicht in der Lage waren, diesen vorhersehbaren Angriffen der RAF etwas entgegenzusetzen.

(2)

Was dafür spricht, dass die RAF die Tat beging, ist auch der auf dem Bekennerschreiben vorhandene Aufdruck ihres Symbols. Dieses wurde mit dem Tiefdruckverfahren auf das Schreiben gebracht, das von der Kriminaltechnik mit anderen bereits vorhandenen verglichen werden konnte. Man stellte fest, dass der gleiche Druckstock verwendet wurde.

Rote Armee Fraktion

Die RAF wurde 1970 gegründet und löste sich 1998 wieder auf. Die Terroristen werden in drei Generationen unterteilt. Ob es tatsächlich eine dritte Generation gab, wird auch heute noch infrage gestellt. Die RAF ist offiziell für 34 Morde, zahlreiche Banküberfälle und Sprengstoffattentate verantwortlich.

Rote Armee Fraktion

Die RAF wurde 1970 gegründet und löste sich 1998 wieder auf. Die Terroristen werden in drei Generationen unterteilt. Ob es tatsächlich eine dritte Generation gab, wird auch heute noch infrage gestellt. Die RAF ist offiziell für 34 Morde, zahlreiche Banküberfälle und Sprengstoffattentate verantwortlich.

Die Stasi (Ministerium für Staatssicherheit)

Das zweite Szenarium: Ein Motorboot fährt über ein Gewässer. In ihm sitzen zwei Personen. Es ertönt eine männliche Stimme:

In den Medien wird behauptet, die Ermordung des Treuhandchefs Rohwedder sei der RAF zuzuschreiben. Dies dürfte jedoch nach Art der Durchführung, vermutlicher Planung und ideologischem Hintergrund falsch sein. Vielmehr sprechen viele Indizien dafür, dass die Anschläge von den nach wie vor funktionierenden Seilschaften des Ministeriums der Staatssicherheit, der sogenannten Stasi, geplant und durchgeführt wurden.

(3)

In der dritten Folge geht es vor allem um den wirtschaftlichen Aspekt, der die Vermutung laut werden lässt, dass nicht die RAF, sondern die Stasi hinter der Tat steckt. In einem damals gezeigten Interview gab auch der ehemalige BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert an, dass man die Staatssicherheit mitnichten von der Tat ausschließen könne.

Tatsache ist, dass damals viele finanzstarke Partner, die in das DDR-Geschäft einsteigen wollten, sich an den Unternehmen bedienten. Die wirtschaftlichen Folgen waren für viele Privatpersonen katastrophal. Klaus-Dieter Matschke (Verfassungsschutz) spricht davon, dass der Eindruck entstand, dass Besatzer in die neuen Bundesländer kämen und dort alle möglichen Betriebe zerschlagen und das Ganze verscherbeln würden. Weiter vertritt er die Meinung, dass der Tod des Treuhandchefs doch nur denjenigen genutzt hätte, die glaubten, dass durch die Tat der „Verkauf des Landes“ gestoppt werden würde. Außerdem habe er damals Fernschreiben an das Landeskriminalamt (Abteilung Staatsschutz) geschickt, in denen er unter anderem mitteilte:

Viele Indizien sprechen dafür, dass hier eine völlig neue Art von Terrorismus im Entstehen begriffen ist, welche die RAF bei Weitem übertrifft und in den Schatten stellt. Es ist nicht nur die Zahl ein Vielfaches der RAF, vielmehr sind die Stasi-Ehemaligen unvergleichlich professioneller, was Ausbildung, Kommunikation, finanziellen Background, Logistik, Insiderwissen und Erfahrung angeht. Man kann mit blindem Gehorsam rechnen.

(3)

Auch der Ausschnitt eines Interviews wird gezeigt, in dem sich Rohwedder zu der wirtschaftlichen Situation äußert: „Im Moment sind wir in der Tat in der Phase, wo Sozialismus aus den Betrieben, aus der Wirtschaft ausgeschwitzt werden muss und da muss man durch.“ (3)

Die Wiedervereinigung bedeutete für viele Stasi-Beamte den Untergang der DDR. Die Mitglieder wurden häufig ausgeschlossen, Uniformen mussten abgegeben werden und der Blick in die Zukunft ließ Schlimmes ahnen. Dass der Tatverdacht in solch einem Fall durchaus naheliegend ist, wird wohl die wenigsten verwundern. Auch Rohwedders Frau meinte, dass sie sich vorstellen könne, dass die ehemalige Stasi eine Gefahr für ihren Mann darstellen und gegebenenfalls die Tat begangen haben könnte.

Der Geheimdienst der Bundesrepublik

Das dritte Bild: Es ist wieder Nacht, es fallen mehrere Schüsse. Gezeigt wird ein Scharfschütze unter einem Tarnnetz. Um wen es sich handelt, bleibt zunächst fraglich. Als sich der Mann zurückzieht, tauchen parallel weitere Personen in Schutzanzug auf und platzieren vermeintliche Beweisstücke – wie ein Handtuch mit einem Haar und das Bekennerschreiben –,die glauben lassen, die RAF sei vor Ort gewesen.

So groß die Freude über die Wiedervereinigung anfangs gewesen sein mag, wurden schon bald kritische Stimmen laut. Parallel stiegen die Arbeitslosenzahlen ins Unermessliche, was zu großer Kritik an Detlev Rohwedder führte. Hero Brahms (Vizepräsident Treuhand) sagt dazu Folgendes:

Ich habe mir Sorgen gemacht wegen des äußerlichen Drucks, aber nicht wegen seiner Konstitution. Also die war gut und der Mann war so hart im Nehmen und konnte dann einstecken, aber auch wieder zurückschlagen. Die Politik konnte sich wunderbar hinter der Treuhandanstalt verstecken und er war natürlich auch der ideale Sündenbock. Wenn man die Zeitungen gelesen hat, die Fernsehberichterstattung, alle waren auf Krawall gebürstet.

(4)

Ich muss zugeben, die Idee, es sei eine Institution der Bundesrepublik Deutschland gewesen, scheint mir zumindest in dieser Dokureihe nicht sehr überzeugend. Allerdings muss klar gestellt werden, dass es sich hierbei um einen unaufgeklärten Fall handelt, der in vielerlei Hinsicht Fragen offen lässt.

Bernd Wagner (Landeskriminalamt: Leiter Abteilung Staatsschutz) glaubt nicht an eine dritte Generation der RAF. Er äußert außerdem:

Das könnte tatsächlich was sein, was in Verbindung mit der Staatssicherheit steht, um die ostdeutsche Arbeitsklasse gegen den Westen aufzubringen, und umgedreht gibt es noch eine dritte Variante, die ich durchdacht habe. Das wäre die, dass man von westlicher Seite die Tat inszeniert hat durch Killer. Ich meine, es ist ja nicht ganz zufällig, dass Akten verschwinden, immer wieder. […] Und schon das macht verdächtig.

(4)

Eine ähnliche Meinung vertritt der Journalist Günther Classen, der ebenfalls infrage stellt, ob das Bundeskriminalamt sowie die Generalbundesanwaltschaft tatsächlich so unwissend sei, wie sie behauptet. Auch nach mehreren Anfragen habe er keine expliziten Antworten erhalten. Man ermittle lediglich in alle Richtungen. „Wer sowas erklärt”, sagt er weiter, „hat was zu verbergen. Der ist im Besitz einer Lösung und möchte sie nicht sagen, weil die Lösung etwas offenlegen könnte, das die Grundfeste dieser Republik erschüttern könnte.“

Weshalb ich diese Idee infrage stelle, liegt unter anderem an einem angeblich platzierten, ausgefallenem Haar, das dem ehemaligen RAF-Mitglied Wolfgang Werner Brams gehörte. Dieses sollte den Verdacht von dem eigentlichen Täter abwenden, so zumindest die Theorie. Würden heutzutage solche Vorgehen beschrieben, täte ich mich schwer mit der Beurteilung der dargestellten Sachlage. Allerdings konnte man zu dem damaligen Zeitpunkt, als der Mord an Rohwedder geschah, die DNA des Haares nicht feststellen, da es ausgefallen und somit ohne Haarwurzel war. Die Technik ließ eine Identifizierung nicht zu. Somit hätten die Akteure, die dieses Beweisstück platzierten, davon ausgehen müssen, dass in Zukunft auch Haare ohne Wurzel Hinweis darauf geben könnten, von welchem Täter diese stammen.

Meinung

Egal, ob man sich für ein bestimmtes Szenarium entscheiden kann, meines Erachtens ist die bei Netflix gestreamte Doku-Reihe „Rohwedder – Einigkeit und Mord und Freiheit“ eine gelungene Serie, die vor allem auch jüngeren Generationen eine Welt präsentiert, die bis heute Auswirkungen auf unsere Gesellschaft hat. Hier geht es vor allem um den Mord an einem hochgefährdeten Mann, den die Bundesrepublik Deutschland eventuell nicht verhindern wollte oder auch nicht konnte. Gleichzeitig liefert sie einige Antworten darauf, weshalb es auch heute noch gelegentlich zu solch starken Auseinandersetzungen zwischen Ost und West kommt. Viele Gegenden im Osten wurden vergessen, jüngere Generationen zogen weg und die wirtschaftliche Situation sowie die Arbeitslosenquote blieb ein Problem.

Ob der Fall Rohwedder eines Tages aufgeklärt werden kann, mag ich zu bezweifeln. Seine Ehefrau Hergard Rohwedder erfuhr zumindest nie, wer ihren Ehemann erschoss. Sie starb im Jahr 2019.

(1) Folge 1: Märtyrer
(2) Folge 2: Kapitalist
(3) Folge 3: Besatzer
(4) Folge 4: Opfer

Bildquelle: Pexels