Boris Palmer

Boris Palmer hat sich in einem Interview mit dem Moderator Jan Hahn für eine Lockerung der Corona-Auflagen ausgesprochen. Die Vorgehensweise ist jedoch mehr als fragwürdig.

Wer ist Boris Palmer?

Boris Palmer  ist ein deutscher Politiker der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er wurde am 28. Mai 1972 in Waiblingen geboren. Nach seinem Abitur studierte er in Tübingen und Sydney Mathematik und Geschichte.

Ab 2001 arbeitete der Politiker als Landtagsabgeordneter. Die Fraktion bestimmte ihn zum umwelt- und verkehrspolitischen Sprecher. Nach seiner Wiederwahl im Jahr 2006 wurde er Stellvertreter von Winfried Kretschmann im Fraktionsvorsitz. Am 22. Oktober 2006 wurde Boris Palmer mit 50,4% im ersten Wahlgang zum Tübinger Oberbürgermeister gewählt. Er gab sein Landtagsmandat im Folgejahr ab.

Wer Lust hat, mehr über die Laufbahn des Politikers zu erfahren, aber auf Wikipedia-Einträge verzichten möchte: Hier geht’s zur persönlichen Website des Poltikers.

Worum geht’s?

Um sich eine persönliche Meinung bilden zu können, ist es notwendig, den entsprechenden Kontext zu betrachten. Dem viel diskutierten Satz von Palmer gingen die folgende Aussage und Frage des Frühstücksfernsehen-Moderators Jan Hahn voraus (28.04.2020):

Jetzt gibt es diesen Satz, der im Raum steht vom Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble. Er sagt: ‘Nicht alles ist dem Schutz von Leben unterzuordnen.’ Wie deuten Sie diese Aussage?

Darauf erwiderte der Politiker:

Ich glaube, dass es eben darum geht, dass wir tatsächlich alle irgendwann sterben und auch das Grundgesetz das nicht verhindern kann. Und wenn sie die Todeszahlen anschauen durch Corona, dann ist es bei vielen so, dass eben Menschen über 80 insbesondere sterben, und wir wissen über 80 sterben die meisten irgendwann. Also ist Corona jetzt nicht wie Ebola eine Krankheit, die Zwanzigjährige mitten aus dem Leben reißt, sondern tödlich ist sie für hochaltrige Menschen – fast ausschließlich. Und insoweit müssen wir abwägen, ich sag’s Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen, aber die weltweiten Zerstörungen der Weltwirtschaft sorgen nach Einschätzung der UNO dafür, dass der daraus entstehende Armutsschock dieses Jahr eine Million Kinder zusätzlich das Leben kostet. Und da sieht man, es ist ein Medikament mit Nebenwirkungen. Wir müssen es richtig dosieren.

Was möchte Boris Palmer?

In der Sendung Markus Lanz geht Palmer u. a. darauf ein, wie er sich den weiteren Verlauf in dieser Krise vorstellt. Dem Politiker zufolge wäre es am besten, wenn für Personen, die zur Risikogruppe zählen, die Maßnahmen der letzten Wochen weiterhin gelten würden. Das beinhaltet, dass weitgehend auf Kontakte verzichtet werden solle, die für den Betroffenen bzw. die Betroffene riskant seien. Sollte es dennoch zu Kontakten kommen, wäre dementsprechend das Tragen einer hochwertigen Maske notwendig. Zu der besagten Risikogruppe gehören vor allem die über Siebzigjährigen. Alle Menschen, die nicht zu der besagten Gruppe gehören, sollten ihren wirtschaftlichen Beitrag leisten. Er sagt außerdem in dem Interview mit Lanz: Also ich bin so groß geworden, dass Großeltern gesagt haben, wir wollen, dass es den Kindern mal besser geht als uns selber. Ob man in dem Punkt auch an die Verletzung der Menschenwürde dachte, sei dahingestellt.

Grüne fordern Parteiausschluss von Boris Palmer

Am 2. Mai berichtete der Tagesspiegel, dass einige Grünen-Politiker einen Parteiausschluss von Boris Palmer fordern. Dafür hätten mehr als 100 Mitglieder einen offenen Brief unterzeichnet, in dem der Landesvorstand Baden-Württemberg und der Kreisverband Tübingen aufgefordert würden, ein Parteiordnungsverfahren oder Parteiausschlussverfahren gegen den grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer anzustrengen.

Der entsprechende Brief liege dem Tagesspiegel vor, der von dem früheren Berliner Bundestagsabgeordneten und Bildungspolitiker Özcan Mutlu initiiert wurde. Hier heißt es unter anderem: Diese Geisteshaltung ist dem Wesen nach Sozialdarwinismus pur und ist mit allen Mitteln strikt abzulehnen.

Was ist die Meinung von Mindesthohn?

Die Aussage des Politikers Boris Palmer ist in vielerlei Hinsicht schwierig. Der Kontext, den ich gewissenhaft präsentiert habe, führt meines Erachtens nicht dazu, dass man die Aussage des Politikers in irgendeiner Weise gutheißen oder vertreten sollte. Was mich zu dieser Aussage führt, möchte ich im Folgenden erläutern.

Es ist vor allem dieser eine Satz, der zur Diskussion anregt: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen, aber die weltweiten Zerstörungen der Weltwirtschaft sorgen nach Einschätzung der UNO dafür, dass der daraus entstehende Armutsschock dieses Jahr eine Million Kinder zusätzlich das Leben kostet.

Die erste Frage, die ich mir stellte, war: Wie wird es einer Person höheren Alters wohl gehen, wenn sie sich von einem Menschen, der sich (vor allem) nicht in dieser Lage befindet, anhören muss, dass die medizinische Fürsorge evtl. eh überflüssig sei, da man ja sowieso bald den Löffel abgeben könnte? Mein Gott wie schrecklich! Das, was hier vorgenommen wird, ist eine eiskalte Abwägung. Eine Abwägung zwischen der Wertigkeit von Menschenleben. Nun könnte man argumentieren, dass Ausnahmesituationen eben auch Ausnahmehandlungen fordern. Aber ist das in diesem Fall wirklich so?

Ich halte es wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach: Jetzt plötzlich, wo wir die Alten wegsperren sollen, erinnern wir uns an die Kinder, für die wir in den letzten zehn Jahren nichts gemacht haben? Besser hätte man es meines Erachtens nicht ausdrücken können. Ich meine, als ob es nie möglich gewesen wäre, einen größeren Teil des Bruttoinlandprodukts den hungernden, kranken und sterbenden Kindern dieser Welt zur Verfügung zu stellen. Und im Übrigen: Ich möchte in diesem Kontext nicht darauf verzichten, auch auf all die anderen Menschen aufmerksam zu machen, die aufgrund der weltweit dramatischen Verteilungsverhältnisse elendig zugrunde gehen. Ich bitte euch, jetzt, wo die Gefahr stets bei uns ist, unsere Gesundheit und Wirtschaft gefährdet, schreien wir nach Solidarität und Nächstenliebe? Wie heuchlerisch!

Aber gut, schauen wir erst einmal weiter.

Fakt ist, dass eben nicht nur über Siebzigjährige schwer erkranken. Auch wesentlich jüngere Leute gehören zu der Risikogruppe. Das darf keinesfalls außer Acht gelassen werden. Lauterbach spricht von der 50:50-Regel: Ab 50 hat 50 Prozent der Bevölkerung eine chronische Krankheit und die meisten dieser chronischen Krankheiten sind für Covid-19 […] ein Risikofaktor. Hier spricht der Politiker abermals eine wesentliche Tatsache an. Und es sind eben nicht nur die über Fünfzigjährigen. U. a. Raucher und Asthmatiker unter den beschriebenen Altersbegrenzungen, aber auch viele weitere könnten schwer erkranken, von den Folgeerscheinungen ganz zu schweigen. Wer ist noch besonders gefährdet, welche Folgeschädigungen sind auch bei gesunden und jungen Menschen zu erwarten und wie lange wird sich diese Krise noch hinziehen? Wir wissen es einfach nicht! Was will ich damit sagen? Klar, lass uns die Alten doch einfach wegsperren, um die Kapazitäten in Krankenhäusern nicht zu überlasten.

Ich glaube, anhand der letzten Fragestellung und Antwort wird deutlich, dass ich das natürlich ganz anders sehe. Zu Beginn äußerte ich, dass ich v. a. an die Befindlichkeit älterer Personen gedacht habe, nachdem ich den oben zitierten Satz hörte. Die hier postulierte und vermehrte wirtschaftliche Freiheit führt meines Erachtens zu folgendem Szenario: Es stecken sich viele unter Siebzigjährige an, setzen sich einem hohen gesundheitlichen Risiko aus und erkranken ebenfalls so schwer, dass sie innerhalb einer intensivmedizinischen Behandlung versorgt werden müssen. Das führt ebenfalls zu einer Überlastung intensiv-medizinischer Kapazitäten und somit zu einer in Deutschland zusätzlichen Krise. Eine Krise, die wir uns alle nicht wünschen, egal, ob alt oder jung! Zu glauben, dass es allein die Alten seien, die zu einer Überlastung unseres Gesundheitssystems führen könnten, halte ich somit für falsch.