Staiy

Am 2. Juni veröffentlichte der Twitch-Streamer Staiy auf YoutTube das Video „Ansage an alle Influencer“, in dem er sich über die Einstellung einiger seiner Kollegen echauffiert. Was den Streamer so aufregt und ob die Wut tatsächlich berechtigt ist, soll im Folgenden thematisiert werden.

Wer ist Staiy?

Tweet eines Kollegen war der Anlass

Am 2. Juni lud Staiy bei YouTube das Videos Ansage an alle Influencer hoch, das durchaus mit Emotionen sowie interessanten Aussagen durchzogen ist. Der Grund für die Wut des Streamers liegt offensichtlich in einem am 31. Mai veröffentlichten Tweet des Influencer Rewinside. Hier kritisiert der Livestreamer all diejenigen Kollegen, die sich bisher nicht zu den rassistischen Anschlägen in Hanau sowie den Vorfällen in Minneapolis geäußert haben.

So einflussreich sind Influencer? Na dann Prost Mahlzeit!

Zu Beginn seines Videos betont Staiy, er habe bisher nichts zu den Ausschreitungen in den USA gesagt, was er mit diesem Video jedoch ändern wolle:

Heute ist der Tag, an dem dazu was gesagt wird, und heute ist der Tag, an dem eine Menge Leute ihr verficktes Fett wegkriegen. […] Also werden wir mal klare Punkte beziehen, klare Positionen machen, damit jeder weiß, was ich dazu denke. Denn das ist ja das Einzige, was heutzutage eine Rolle spielt. Was denkt dein verfickter Lieblingsinfluencer darüber, damit du dir selbst eine Meinung bilden kannst.

In seiner Wut trifft der Streamer eine Aussage, die im Grunde eine interessante und in der Wissenschaft viel diskutierte Thematik anspricht. Wie einflussreich sind Streamer und welchen Beitrag leisten sie bezüglich der Meinungsbildung in der Gesellschaft?

Dass Influencer aufgrund ihrer Reichweite, insbesondere bei der Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen, ein beliebtes Instrument geworden sind, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Laut einer Studie von Wavemaker seien im Jahr 2019 vor allem die Themen Ernährung, Reisen und Fitness beliebt gewesen. Dass Influencer jedoch auch zur politischen Meinungsbildung einen erheblichen Beitrag leisten können, sollte uns spätestens nach dem Video „Die Zerstörung der CDU“ des YouTubers Rezo bewusst sein.

Allerdings deklariert Staiy in der oben getroffenen Aussage nicht nur, dass Influencer an der Meinungsbildung ihrer Follower teilweise beteiligt seien, sondern deren Meinung für viele notwendig sei, um sich überhaupt ein Urteil bilden zu können, ein meines Erachtens erheblicher Unterschied.

Gehen wir davon aus, dass ausschließlich zählt, was “dein verfickter Lieblingsinfluencer” zu bestimmten politischen Themen sagt, dann, meine Damen Herren, sollten wir uns große Sorgen machen. Davon abgesehen, dass ich es hoch kritisch finde, wenn komplexe Themen auf einen Fünf-Minuten-Beitrag runtergebrochen und kommentiert werden, denke ich, dass es schade wäre, wenn Menschen die ihnen zur Verfügung stehenden kognitiven Kompetenzen nicht nutzen würden. Dass ein viel zu großer Teil der Gesellschaft die uns gegebene Fähigkeit zum Nachdenken und Reflektieren scheinbar für „überbewertet“ hält, zeigen nicht nur die letzten Wochen. Dennoch hoffe ich zutiefst, dass die meisten Follower dazu in der Lage sind, sich selbst ein Bild zu machen. Einem Großteil von Staiys Community traue ich diese Fähigkeit durchaus zu.

Influencer: Ein berechtigter Begriff?

Ich persönlich möchte Personen, die als “Influencer” bezeichnet werden, ihre “Berufsbezeichnung” keineswegs streitig machen. Dass Personen, die im Social-Media-Bereich eine große Aufmerksamkeit genießen und durchaus Einfluss auf viele Menschen ausüben, ist auch in der Wissenschaft eine vertretene Auffassung.

(Quelle 1)

Auch im politischen Diskurs gewinnen Influencer immer mehr Einfluss. In diesem Kontext sei zum Beispiel auf den bereits erwähnten Influencer Rezo oder auf die Youtuber LeFloid und Tilo Jung hingewiesen, auf deren Kappe fraglos viele gute, informative, aber auch unterhaltende Videos gehen. Allerdings, und das bedaure ich sehr, gibt es nach wie vor verhältnismäßig wenige Influencer, die regelmäßig politischen Content bieten.

Im Kontext der Frage, wie stark Influencer zur Meinungsbildung beitragen und somit Einfluss ausüben, hängt laut der Persuasionsforschung unter anderem stark mit der Glaubwürdigkeit des jeweiligen Influencers zusammen.

(Quelle: 2)

Es ist demnach unmöglich, pauschal ein Urteil darüber zu fällen, inwieweit Influencer zur, in diesem Fall politischen, Meinungsbildung beitragen. Ein Faktor, der in diesem Kontext mit Sicherheit eine große Rolle spielt, ist das Alter der Follower. Es ist davon auszugehen, dass der Einflussgrad mit steigendem Alter abnimmt.

Staiys oben getroffene Aussage stempeln wir demnach mal als eine im Rausch seiner Wut getroffene, völlig überspitzte Darstellung ab. Mag sein, dass es für einige (vor allem junge) Menschen hoch relevant ist, was ihre Lieblingsinfluencer zu gewissen Themen sagen, aber ein Großteil der Gesellschaft schafft es doch hoffentlich auch ohne deren Hilfe, eine eigene Meinung zu entwickeln. Wollen wir es hoffen!

Was hat das noch mit konstruktiver Kritik zu tun?

Nachdem Staiy sich, und andere Streamer mit einbezogen, etwas zu wichtig genommen hat, spricht der Streamer einen meines Erachtens relevanten Aspekt an.

In dem Video äußert er weiter:

Ich habe immer wieder Sachen gesagt, die in irgendeiner Form tatsächlich kontrovers, vielleicht kontrovers, aber auf jeden Fall eine Position sind. Von allen verfickten Influencern da draußen, von allen verfickten Streamern da draußen, von allen verfickten weichgespülten Youtubern da draußen, und als Dank habe ich die Tatsache bekommen: Halte deine Fresse, ansonsten canceln wir dich! Denn das ist die Mentalität, die da draußen stattfindet! […] Die wollen, dass du sagt, was alle sagen!

Fakt ist: Auch Staiy beschäftigt sich in einigen seiner Streams mit Politik und gehört zu denjenigen, die sich auch an die in der Gesellschaft als “schwierig” geltenden Themen wagt. Dazu gehört unter anderem der nach wie vor in der Gesellschaft existente Rassismus.

Aber anstatt solch hoch relevante gesellschaftliche Themen konstruktiv zu diskutieren, sich gegenseitig zuzuhören, gegebenfalls fremde Meinungen zuzulassen oder andere mit dem eigenen Wissen zu bereichern, haben es einige Personen lediglich darauf abgesehen, andere zu beleidigen und mit ihrer Dummheit oder überheblichen Art niederzuknüppeln und mundtot zu machen. Bravo! Auf diese Art und Weise erreichen wir mit Sicherheit viele bedeutsame Fortschritte im Kampf gegen den institutionellen sowie individuellen Rassismus. Und es ist eben dieses Problem, das auch der Streamer in dem oben zitierten Abschnitt anspricht.

Um seine Aussage zu untermauern, beruft Staiy sich auf ein Beispiel. Hier nennt er eine Streamerin, die sich zu den Ausschreitungen in Amerika äußert, nachdem sie von ihren Zuschauern gefragt wurde. Dieser Ausschnitt wurde zigmal retweetet und meines Erachtens zu Recht kritisiert. Teilweise wurde die junge Frau jedoch nur beschimpft und beleidigt. Da frage ich mich ernsthaft , was sich die Menschen mit solch einem Verhalten erhoffen. Was wollt ihr damit erreichen und inwieweit ist das hilfreich, um gegen Rassismus vorzugehen? Richtig: Es ist überhaupt nicht hilfreich! Das Einzige, das ihr für solche Aussagen bekommt, sind irgendwelche völlig irrelevanten Herzchen, Likes und eventuell neue Follower, die sich auf dem selben niedrigem Level aufhalten –  und das auf dem Rücken eines so hoch relevanten, komplexen und schrecklichen Themas. Herzlichen Glückwunsch!

Staiy: “Ganz viele Influencer halten ihr Maul, weil sie wissen, dass sie dämlich sind”

Außerdem äußert der Streamer in seinem Video:

Was hat das mit freier Äußerung von deinen Positionen zu tun, von deinen Gedanken? Es geht nicht darum, dass du sagst, was du denkst […].Manchmal solltest du das gar nicht, weil du viel zu dumm dazu bist. Ganz viele Influencer halten ihr Maul, weil sie wissen, dass sie dämlich sind, weil sie wissen, dass sie keine Ahnung haben bei bestimmten Punkten und sie tun das zu Recht!

Ich pflege stets zu sagen: “Intelligent sein” meint auch,  im richtigen Moment die Klappe zu halten. Allerdings beinhaltet Staiys Aussage einige Punkte, die durchaus kritisch zu betrachten sind. Die erste Frage, die sich mir hier stellt: Welches Wissen, welche Kompetenzen muss ich mitbringen, um einer Zuschreibung, wie beispielweise der des “Dumm-Seins”, zu entkommen. Was muss ich über das Thema “Rassismus” wissen, um mitsprechen, um urteilen zu dürfen? Reicht es, in dem entsprechenden Kontext Zeitungen zu lesen, TV zu schauen oder sollten es doch pragmatisch wissenschaftliche Texte sein, die das jeweilige Thema behandeln? Und wenn es ersteres ist, auf welche Zeitungen darf ich mich denn in diesem Fall berufen? Sollte ich zuvor Rezos vermeintliche “Zerstörung der Presse” gesehen haben, um entscheiden zu können, welche Zeitungen gut und welche schlecht sind?

Das ist natürlich eine überspitze Darstellung. Staiy macht in seinem Video eindeutig klar, dass man sich zu verschiedenen Themen äußern sollte, wenn man das Bedürfnis danach habe. Mich persönlich stören jedoch die im Video angewandten Begriffe “dumm” und “dämlich”. Genau gesagt: Halte ich diese für völlig deplatziert. Warum muss ein erwachsener Mann, der offensichtlich dazu in der Lage ist zu begreifen, was bestimmte Aussagen bei Zuschauern bewirken können –  schließlich ist das Teil der Thematik seines Videos – solche Sätze von sich geben?

Menschen im Gesamten als “dumm” und “dämlich” zu bezeichnen, während man scheinbar der Meinung ist, dass Einige einzig und allein darauf hören, was der Lieblingsinfluencer sagt, ist doch mehr als unpassend. Dennoch, auch wenn seine Art, wie er sich ausdrückt, durchaus kritisch zu bewerten ist, halte ich die Wut des Influencers für nachvollziehbar. Und somit kommen wir zu dem letzten Abschnitt dieses Beitrags.

Rewinside: Der Streamer reagiert auf Staiys Ansage

Hier noch mal das zu Beginn des Beitrags genannte Zitat, welches Rewi am 31. Mai bei Twitter postete.

Verachtung geht an dieser Stelle raus an alle ‘Influencer Kollegen’ die bei Themen wie #Minneapolis #Hanau und vielen anderen Gewaltverbrechen aus rassistischen Motiven noch immer schweigen und sich lieber (aus welchen Gründen auch immer) bedeckt halten.

Auch wenn der Influencer hier Solidarität zeigen wollte, was prinzipiell als positiv zu bewerten ist, geht diese Aussage meines Erachtens in eine Richtung, die höchst kritisch ist.

Rewi kritisiert hier das Verhalten derjeniegen “Influencer-Kollegen”, die zu “Themen wie #Minneapolis #Hanau und vielen anderen Gewaltverbrechen aus rassistischen Motiven noch immer schweigen”. Vorab möchte ich betonen, dass ich es ebenfalls gut finde, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens eindeutig gegen Rassismus positionieren. Allerdings sollte einem Menschen keine Verachtung entgegen gebracht werden, der sich, egal, ob Influencer oder nicht, dazu entscheidet, sich nicht in seinem Stream, auf Twitter, Instagram oder sonstigen Plattformen über bestimmte politische Gegebenheiten zu äußern.

Durch Schweigehandlungen wird etwas ausgedrückt. Allerdings sind die Gründe, weshalb geschwiegen wird, extrem vielseitig. Deshalb sollte man sich, bevor man in diesem Kontext von “Verachtung” spricht, die Frage stellen, weshalb Menschen in bestimmten Situationen zu gewissen Themen schweigen und ob diese Gründe nicht sogar nachvollziehbar sind.

Vielleicht schweigen einige der Kollegen aus Furcht, etwas Falsches zu sagen, weil sie schon häufig erlebt haben, dass andere Influencer schlicht und ergreifend fertig gemacht wurden, nachdem sie sich zu einem Thema geäußert haben. Vielleicht wissen diese Personen, dass sie das psychisch immens belasten würde und sie damit nicht zurecht kämen. Weitere Gründe könnten Unwissenheit, Zweifel oder Unentschlossenheit sein. Vielleicht wissen viele nicht, wie sie ihre Meinung vor einem großen Publikum richtig artikulieren sollen. Vielleicht ist manches Schweigen auch Folge eines völligen Desinteresses. Es gibt zahllose Gründe. Und genauso, wie wir das Recht haben, unsere Meinung zu äußern, halte ich es für wichtig, dass wir ebenfalls die freie Entscheidungsgewalt darüber haben, zu welchen Themen wir schweigen.

Ich gehe davon aus, Staiy sieht das ähnlich:

Die Tatsache, sowas einzufordern ist nicht nur frech, sondern auch mega dämlich […]. Ihr müsst nicht gut finden, was ich sage, aber wagt es euch einzufordern, dass Leute Position beziehen müssen.

Inzwischen hat Rewi auf das Video reagiert. Er vertritt nach wie vor die Meinung, dass es im Falle der Ausschreitungen in Amerika nicht richtig sei, zu schweigen. Allerdings räumt der Streamer ein, dass das Wort “Verachtung” durchaus “gewagt” sei. Diese Formulierung habe jedoch jede Menge Aufsehen erregt und vor allem Betroffene hätten positiv auf den Tweet reagiert. Zudem äußert er:

Ich verstehe […] Personen, die sagen: “Ich kann mich dazu gerade nicht äußern, weil das vielleicht […] nicht in meinem Horizont liegt oder ich mich mit der ganzen Geschichte nicht ausreichend auseinandergesetzt habe.” Aber man hat die Möglichkeit […] offen zuzugeben: “Hey, ich bin nicht genug in der Thematik drin, um dazu Stellung zu beziehen. Kann mir eventuell gerade dazu jemand Punkte liefern?”

Ich kann mir kaum vorstellen, dass zugegebene Unwissenheit hier nicht auch für Furore sorgen und zu negativen Konsequenzen führen würde, da man in diesem Fall bei vielen Usern den Eindruck hinterließe, man interessiere sich nicht für das Thema “Rassismus”. Man muss kein Streamer sein, um festzustellen, wie respektlos der Umgang im Netz miteinander ist.

Es lohnt sich, sich die Antwort von Rewi auf Staiys “Ansage” anzuschauen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Danach sollte man sich jedoch vielleicht einem wichtigeren Thema zuwenden: dem nach wie vor in der Welt verbreiteten Rassismus selbst.

Quellen

1: Prof. Dr. Amelie Duckwitz (2019): Influencer als digitale Meinungsführer

2: Werner Wirth & Rinaldo Kühne (2013): Grundlagen der Persuasionsforschung: Konzepte, Theorien und zentrale Einflussfaktoren. In: Handbuch Medienwirkunsforschung (hrsg. Wolfgang Schweiger & Andreas Fahr), S. 313

Weitere Links zum Thema Rassismus sowie eine interessante Arbeit des Politikwissenschaftlers Richard Stöss zum Thema “Rechtsextremismus”:

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Forum gegen Rassismus

Migrationsrat Berlin Brandenburg e.V. (2011): Institutioneller Rassismus: Ein Plädoyer für deutschlandweite Aktionspläne gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung

Migrationsrat Berlin Brandenburg

Richard Stöss (2000): Rechtsextremismus im vereinten Deutschland

Bildquelle: Screenshot youtube.com