Impfzwang

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder scheint nicht gegen die Einführung der Impfpflicht zu sein. Das ist nicht nur kritik-, sondern auch fragwürdig.

Markus Söder (CSU) betrachtet laut der Süddeutschen Zeitung das Impfen “als Bürgerpflicht”. So gebe es leider “unter Pflegekräften in Alten- und Pflegeheimen eine zu hohe Impfverweigerung”. Weiter äußert er der Zeitung gegenüber, dass es aus diesem Grund gut wäre, “wenn der deutsche Ethikrat Vorschläge machen würde, ob und für welche Gruppe eine Impfpflicht denkbar wäre”. Ähnliches meinte der Ministerpräsident auch in der Sendung maischberger.die woche vom 20. Januar.

Die von Söder getroffene Aussage dürfte dem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wohl kaum gefallen haben. Betonte dieser noch im letzten Jahr in seiner Bundestagsrede, dass es “in dieser Pandemie keine Impflicht geben” werde. Darauf gab uns der Politiker sein Wort. Hier scheint man sich in den eigenen Reihen jedoch nicht ganz einig zu sein.

Nun mag der ein oder andere die Auffassung vertreten, dass Söder nicht dazu in der Lage sei, eine Impflicht einzuführen. Das stimmt durchaus und dennoch müssen sich immer mehr Pflegekräfte aufgrund des steigenden Drucks mit dieser Thematik auseinandersetzen. Das berichtete auch kürzlich die Politikerin Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) in einem Video ihres YouTube-Kanals. Hier zitiert sie Ausschnitte einiger Mails, die sie erreichten und auch mich als ehemalige Krankenhaus-Mitarbeiterin fassungslos machen. Hier heißt es unter anderem:

Ein Thema was mich zur Zeit sehr beschäftigt ist die Impfung gegen Covid 19. Es gibt mittlerweile Kliniken und Einrichtungen, die Ihre Mitarbeiter vor die Wahl stellen – impfen oder arbeitslos… Diese Doppelmoral empört mich zutiefst. Jetzt sind ungeimpfte Pflegekräfte eine Gefahr für Patienten, aber wenn sie monatelang mit unzureichender Schutzausrüstung arbeiten und bis heute noch nicht flächendeckend getestet werden, ist das kein Thema.

Pfleger einer Intensivstation, der im letzten Jahr mit unzureichender Schutzausrüstung arbeiten musste.

In einer weiteren Nachricht äußerte sich eine Pflegeauszubildene, die sich derzeit in der Probezeit befindet und sich in einem Gespräch ihrer Vorgesetzten stellen musste. Darüber schreibt sie:

Sie sprach mich darauf an, dass ich mich nicht impfen lassen wolle und dass sie mich dann nicht weiter beschäftigen kann und mich fristlos kündigen würde, da ich mich noch in der Probezeit befände. Sie appelierte daran, dass ich meine Entscheidung überdenken solle und mich impfen lassen soll, da ich laut ihrer Aussage eine sehr gute und geschätzte Mitarbeiterin sei.

Auszubildende für die Gesundheits- und Krankenpflege

Wir halten fest: Vor wenigen Monaten schenkten viele Menschen denjenigen einen Applaus, die sich in der Zeit der Pandemie selbst in Gefahr begaben, um anderen zu helfen. Darüber hinaus ist derzeit nicht bekannt, ob die Impfung vor einer Übertragung des Virus schützt und mit welchen Langzeitfolgen zu rechnen ist. Weder von den Herstellern noch von anderen ernstzunehmenden Persönlichkeiten in dieser Debatte wurde bisher Gegenteiliges behauptet. Und dennoch scheinen einige Politiker, Pflegeeinrichtungen und Kliniken der Meinung zu sein, dass es korrekt sei, Personen, die sich der Impfung gegenüber skeptisch äußern, zu diffamieren und ins Abseits zu drängen.

Auch der Journalist Alexander Neubacher schloss sich diesem Vorgehen an und schrieb in einer Kolumne für den Spiegel, dass “in der Gesundheitsbranche nicht nur Corona-Helden arbeiten” würden. Weiter schreibt er:

Ich wünschte, die Krankenhäuser und Heime könnten sie [Menschen in Heilberufen] zum Impfen zwingen. […] Nur wer einen Impfnachweis hat, wird auf Kranke und Alte losgelassen. Lehnen eine Ärztin oder ein Pfleger die Corona-Impfung dann immer noch ab und berufen sich auf angebliche Persönlichkeitsrechte, sind sie keine Freiheitskämpfer, sondern skrupellose Zocker, die das Leben von Schutzbefohlenen aufs Spiel setzen. Solche Leute haben im Operationssaal oder am Pflegebett nichts zu suchen. Für sie gilt dasselbe wie für einen Pfarrer, der nicht beten, eine Soldatin, die nicht kämpfen, einen Erzieher, der nicht mit Kindern spielen möchte: Beruf verfehlt.

Alexander Neubacher: Querdenker in Weiß (Spiegel, 09.01.2021)

Zunächst möchte ich klar stellen, dass ich eine Impfbefürworterin bin und mich dementsprechend auch impfen lassen würde, wenn ich die Möglichkeit erhielte. Außerdem ist es durchaus sinnvoll und wichtig, über dieses Thema zu diskutieren. Allerdings muss ich mir immer wieder die Frage stellen, was aus unserer Diskussionskultur geworden ist. Es scheint mir, wir haben es mit einem nicht enden wollenden Trend zu tun, der es immer salonfähiger macht, komplexe Themen vereinfacht und undifferenziert darzustellen. Vielmehr wird der Fokus darauf gelegt, zwei Lager zu kreieren, die unsere Mitmenschen zum Freund oder Feind erklären. Dass solche Freund-Feind-Dichotomien mit Vorsicht zu genießen sind, dürfte vielen klar sein. Nicht ohne Grund wird des Öfteren von einer Spaltung der Gesellschaft gesprochen. Hier stehen die Freiheitskämpfer und Corona-Helden den skrupellosen Zockern gegenüber, die sich gegebenfalls auf ihre angeblichen Persönlichkeitsrechte berufen. In Anbetracht dessen, dass noch nicht festgestellt werden konnte, ob die Impfung vor Übertragungen schützt, ob mögliche Langzeitfolgen zu erwarten sind und ob der Stoff auch bei den derzeitig kursierenden Mutationen wirkt, überraschen mich die hier gewählten Worte. Ob es Neubacher lediglich darum geht, zu provozieren oder das Geschriebene tatsächlich seiner Meinung entspricht, bleibt für mich fraglich.

Darüber hinaus stelle ich mir die Frage, ob es ausreicht, im Kontext dieser Diskussion lediglich über das Heim- und Krankenhauspersonal zu sprechen. Impfzwangbefürworter sollten sich ebenso die Frage stellen, ob die Maßnahmen nicht auch auf weitere Berufswelder ausgeweitet werden müssten. Schließlich begegnen nicht nur Pfleger und Ärzte sowohl alten als auch vorerkrankten Menschen. Wären demnach auch Justizvollzugsbeamte, Supermarktmitarbeiter, Veterinärmediziner oder Polizisten von der Impflicht betroffen und wären auch hier alle Skeptiker als skrupellose Zocker zu bezeichnen?

Warum sich Menschen gegen die Impfung entscheiden, hat mit Sicherheit viele verschiede Gründe. Hier allein von Querdenkern in Weiß zu sprechen, ist meines Erachtens oberflächlich und einfältig. Umso amüsanter ist die Vorstellung, dass diese Kolumne von jemandem stammt, der wahrscheinlich einen Großteil seiner Arbeitszeit im Homeoffice verbringen kann.

Artikelbild: Pexels/Gustavo Fring